Bernd Fischer (blaues Hemd) begrüßt mehr als 40 Menschen zur gemeinsamen Putzaktion.

Aktion: Kein Gras drüber wachsen lassen ­ – putzen und erinnern für die Zukunft!

Rede von Bernd Fischer am 29. August 2020 zum Internationalen Friedenstag 2020. Vorgetragen auf dem sogenannten „Ehrenfeld für ausländische Kriegsopfer“, Osterholzer Friedhof Bremen.

Liebe Anwesende, liebe Mitglieder des Vereins für Deutsch-Russische Friedenstage Bremen e. V.

Die deutsche Leitkultur ist mittlerweile zu der nicht ganz neuen Erkenntnis gekommen, die da lautet:

Die Russen sind an allem schuld!

Am letzten Dienstag hörte ich auf Bremen 2 Aktuell ein Gespräch mit Omid Nouripour, dem außenpolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Es ging – natürlich – um Alexej Nawalny, von dem behauptet wird, er sei vergiftet worden, und es ging – natürlich auch – um die angebliche Vergiftung Sergej Skripals und seiner Tochter mit dem Nervengift Nowitschok, um den sogenannten Tiergartenmord und andere Tötungsdelikte der letzten Jahre, für die mal die Russen in ihrer Gesamtheit, mal der russische Geheimdienst oder Wladimir Putin persönlich verantwortlich gemacht wird, immer frisch und frei nach dem Motto:

Die Russen sind an allem schuld,
Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld!

Im Verlauf des Gesprächs fragte der Moderator den Politiker, was man denn tun könne – ich zitiere aus dem Gedächtnis: „… um die Russen – mal rustikal gesagt – zur Raison zu bringen.“

Wie kann es sein, habe ich gedacht, dass dieser Mann an seinem Mikrophon in seiner kleinen Redaktion am Weserstrand vergessen hat, wohin es führen kann, wenn Deutsche sich anmaßen, andere Länder, andere Völker „zur Raison“ zu bringen? Es führt, wenn alle danach schreien und immer lauter schreien, zum Krieg. Mit 27 Millionen Toten allein auf sowjetischer Seite und 6 Millionen allein auf polnischer beim letzten Mal. Weit über 700 von ihnen – die Zahlen variieren stark – liegen hier auf diesem Gräberfeld, dem sogenannten Ehrenfeld für ausländische Kriegstote, eine typisch deutsche Nachkriegsformulierung, die das Verbrechen der Zwangsarbeit vertuschen und die Verbrecher schützen sollte oder soll.

Höchste Zeit, das zu ändern!

Die hier begraben sind, waren eben nicht Opfer eines Krieges, der über die Menschheit hereingebrochen ist wie eine Naturkatastrophe, sie waren KZ- Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, also Männer und Frauen, die man aus ihren Heimatländern, aus Polen, aus der Sowjetunion, aus den Niederlanden, aus Belgien oder Frankreich nach Deutschland verschleppt hat, wo sie die Arbeit derer tun mussten, die noch bis Anfang Mai 1945 damit beschäftigt waren, Europa in Schutt und Asche zu legen. So wurden sie – zum Beispiel – beim Bunkerbau in Bremen-Farge verheizt und in Massengräbern verscharrt, bis man irgendwann Anfang der Fünfziger des letzten Jahrhunderts bereit war, ihre sterblichen Überreste zu exhumieren, um sie auf diesem sogenannten Ehrenfeld zu bestatten. Sie starben an Entkräftung oder Quälerei, an schlecht oder gar nicht behandelten Krankheiten, vielleicht auch infolge alliierter Bombardements. Wie auch immer, sie starben als Opfer eines deutschen Raub- und Vernichtungskrieges. Indem wir nun ihre Grabsteine reinigen und ihre Namen wieder lesbar machen, sorgen wir dafür, dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Vielleicht verirrt sich ja der eingangs erwähnte Redakteur einmal an diesen Ort und denkt über seine wilhelminische Rhetorik nach.

Fotos: Horst Otto und Hartmut Drewes