Kathrin Steinweg und Martin Heckmann lesen über Flintenweiber und Untermenschen.

(Foto: Erwin Liauw)

Bitte beachten Sie auch das eindrucksvolle Video auf der Homepage von Martin Fackelmann!

[13.2.2020 19 Uhr]
Aula der Wilhelm-Kaisen-Oberschule
Valckenburghstr. 1-3
Bremen

Die szenische Lesung von Kathrin Steinweg und Martin Heckmann baut auf eine frühere Arbeit. Hierzu schrieb uns Martin Fackelmann den folgenden Bericht:

„Anfang 2014 wurde ich angesprochen vom Bremer Freundeskreis von KontakteKontakty e.V. Es sei eine Ausstellung in Bremen geplant mit dem Titel ‚Russenlager und Zwangsarbeit‘, in der das Schicksal sowjetischer Soldaten und Soldatinnen in deutscher Kriegsgefangenschaft 1941 – 1945 beleuchtet werden sollte. Um diese Ausstellung seien weitere Veranstaltungen geplant, und im Zuge dessen bäte man mich darum, eine Lesung zum Thema zu veranstalten. Ich freute mich über das Ansinnen und nach kurzer Einarbeitungszeit war mir klar, dass dies nicht nur eine interessante künstlerische Aufgabe darstellte, sondern dass dies auch ein wichtiges Thema war, dem ich mich nicht verweigern durfte.

In einer Reihe von Treffen mit einer eigens gebildeten 4-köpfigen Vorbereitungsgruppe aus dem Freundeskreis stellte ich ein erstes grobes Konzept vor, das Thema wurde klarer umrissen, ein finanzieller Rahmen festgelegt und es wurde viel darüber gesprochen, welche Botschaft eine solche Lesung übermitteln sollte und kann. Diese Diskussionen waren sehr intensiv und nicht immer einfach. Angesichts der Ungeheuerlichkeit und auch der teils unbequemen familiären Nähe des Themas, schienen wir alle sehr erpicht darauf, alles richtig machen und keine Kompromisse eingehen zu wollen. Das war sicherlich gut gemeint, aber erschwerte immer wieder die Entscheidungsprozesse.

Schließlich einigten wir uns auf ein szenisches Lesungskonzept, welches ich erstellen und mit meiner Schauspiel-Kollegin Cornelia Petmecky umsetzen sollte: geplant war eine etwa 90 minütige Lesungsveranstaltung ohne Pause. Aus einer von der Vorbereitungsgruppe erstellten Materialsammlung sollte von mir eine szenische Kollage zusammengestellt werden bestehend aus Textbausteinen aus ‚Freitagsbriefen‘, Lager- und Polizeiverordnungen aus der Zeit sowie deutschen Augenzeugenberichten. Die ‚Freitagsbriefe‘ sollten von einer TV-Studio-ähnlich hell ausgeleuchteten Bühne herab vorgetragen werden von Cornelia Petmecky, alle deutschen Verordnungen und Augenzeugenberichte sollten aus wechselnden Positionen innerhalb des Zuschauerraumes von mir vorgelesen werden. Somit befindet sich Cornelia (als ‚Vertreterin‘ der Kriegsgefangenen) nicht nur im Mittelpunkt des Interesses, sondern auch quasi in einer Verhörsituation, während ich (als ‚Vertreter‘ der deutschen Seite) aus dem Publikum spreche und es für mich vereinnahme. So die Theorie. Entstehen soll also ein ‚Recall’ der Geschehnisse mit dem Publikum in der Täterrolle. Ausdrücklich sollte die Lesung keine chronologische Wiedergabe darstellen, sondern eine subjektive, auch angreifbare ‚Passionsgeschichte‘ der Kriegsgefangenen – so der Ausdruck, der in der Vorbereitungsgruppe entstand. Um Cornelias Part nicht auf eine reine Opferrolle zu reduzieren und um ihr eine gewisse Würde wiederzugeben, rezitiert sie auch einige Stellen aus dem Kriegsroman ‚Die dritte Leuchtkugel‘ von Bykov: dichte, actiongeladene Szenen, die stark aus ihrem sonstigen Vortrag hervorstechen, in denen der (teilweise auch erfolgreiche) Abwehrkampf der Roten Armee gegen die Wehrmacht dargestellt wird.

Die Lesung erhielt den Titel ‚Flintenweiber und Untermenschen‘ und wurde am 22.10.2014 in der Bremer Arbeitnehmerkammer uraufgeführt. Mit ca. 45 Zuschauern war die Veranstaltung zumindest nicht schlecht besucht. Davon abgesehen, war sie – auch im Nachhinein gesehen – ein großer Erfolg: die Ergriffenheit, die Trauer und das Entsetzen über die damaligen Geschehnisse, sowie die Einsicht, dass – auf deutscher Seite – ein nach objektiven Kriterien gefasster Beschluss, nun zur Normalität zurückkehren zu wollen, schlechterdings nicht möglich ist, war mit Händen greifbar. Große Teile des Publikums blieben nachher noch, um miteinander oder mit uns zu sprechen – außerdem war es nach einer solchen Veranstaltung nicht schön, alleine nach Hause gehen zu müssen.“