In der Reihe der Veranstaltungen zur Bremer Ausstellung in der Kirche Unser Lieben Frauen über die Blockade der Stadt Leningrad (1941-1944) fand eine Lesung aus „Das Blockadebuch“ von Ales Adamowitsch und Daniil Granin statt. In diesem Buch, das 1982 in Moskau erschien, hatten die beiden Verfasser Dokumente aus diesen 872 Tagen des Hungers, der Kälte, und eines zunehmenden Elends zusammengetragen, Tagebücher, Aufzeichnungen, auch von Kindern und Jugendlichen, auch Gedichte und Briefe, dazu Niederschriften von Interviews mit Betroffenen. Die menschlichen Beziehungen, auch unter den engsten Verwandten, waren der härtesten Prüfung unterzogen, und das alles unter ständigem Beschuss. So erinnert sich eine Frau: „Insgeheim wünschte ich mir, zusammen mit den Kindern zu sterben… Meine Ninotschka weinte ständig… Damit sie einschlief, ließ ich sie mein Blut saugen. Längst hatte ich keine Brüste mehr, sie waren verschwunden…“

Reinhard Anders, pensionierter Lehrer für Geschichte und Darstellendes Spiel am Alten Gymnasium, besorgte den Vortrag aus dem Blockadebuch. Mit der intensiven Interpretation der vom ihm ausgewählten bewegenden Buchzeilen nahm der Rezitator die Besucher mit in jene Zeit der Schrecken der Blockade von Leningrad.

Vorher hatte Horst Otto den Abend eingeleitet. Er wies auf die deutschen Offiziere vor Leningrad hin, die dem Befehl des Oberkommandierenden Alfred Jodl bedingungslos Folge leisteten, die Stadt Leningrad aushungern zu lassen, um selbst möglichst wenig Verluste zu haben. Otto fügte hinzu: Heute sind es wieder deutsche Offiziere, die dem Auftrag nachkamen und Überlegungen anstellten, welche Möglichkeiten es gäbe, mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern in dem Ukraine-Krieg militärisch wirksam einzugreifen.

Keine Ehre dem Kriegsverbrecher Jodl

Im zweiten Teil des Abends sprach der Verleger Helmut Donat zur Geschichte des „Ehrenmals“, das dem im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zum Tode verurteilten und 1946 hingerichteten Alfred Jodl 1953 auf dem Friedhof der Pfaueninsel im Chiemsee von seinen Angehörigen errichtet worden war. Es ist ein Scheingrab, da die Asche der verbrannten Leiche des Hingerichteten in den Wenzbach gestreut wurde. Der Architekt Georg Wieland, der auf der Pfaueninsel lebt, versuchte 2014 zu bewirken, dass dieser Stein, an dem sich Neonazis versammelten, beseitigt wird. Es wurde ihm gesagt, dass das Grabnutzungsrecht ohnehin 2018 ausliefe. Im Juni 2015 befestigten die Künstler Jürgen Arnold und Wolfram Kastner eine Forex/Kunststofftafel an dem Kreuz mit der Aufschrift:

Keine Ehre dem Kriegsverbrecher!
Alfred Jodl wurde im Nürnberger Prozess
1946 als Hauptkriegsverbrecher
zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Später entfernten Kastner und Michael Heiniger, Karikaturist und Künstler, im Rahmen einer angekündigten Aktion das bleierne „J“ von der Jodl-Grabplatte. Übrigblieb ODL – das bayerische Wort für braune, stinkende Jauche. Es folgten weitere solche Aktionen, und die Künstler wurden wegen Beschädigung des Eigentums und Grabfrevel zu einer Geldstrafe in Höhe von 12.000 Euro verurteilt.

Als schließlich der Gemeinderat beschloss, das Nutzungsrecht nicht zu verlängern, klagte dagegen der Großneffe des Hingerichteten. Der Richter entschied, dass das Nutzungsrecht auf weitere 20 Jahre verlängert wird, aber Namenszug und Lebensdaten Alfred Jodls entfernt werden müssen.

Was auch immer im Zusammenhang mit dem Jodl-Grab an Petitionen, Eingaben etc. unternommen worden ist, bislang ist alles erfolglos geblieben. Ohne Rücksicht auf die zahllosen Verhungerten und Ermordeten wird ein Völkermörder im öffentlichen Gedächtnis gehalten. Näheres dazu in dem Büchlein „Der Fall Jodl“, erschienen im Donat-Verlag Bremen.

Angeregt durch die gelungene Auswahl der Textpassagen durch Reinhard Anders und Helmut Donat entwickelte sich abschließend ein anregender Meinungsaustausch mit dem Publikum.

Durchgeführt wurde diese interessante Lesung am 6. März in den Räumen der Villa Ichon.

Text: Hartmut Drewes
Fotos: Hartmut Drewes