Vorweg: Der Vortrag ist gut zu verstehen, reich an Fakten und behandelt die Gegenwart und Zukunft der eurasischen Transportwege. Die Transsib-Strecke ist dabei die Nord-Route der Ost-West-“Seidenstraßen“. Auch kommen Aspekte der weiteren Entwicklung von der unipolaren hin zur multipolaren Welt zur Sprache.

Interessantes Datenmaterial, Landkarten mit den Verzweigungen der Transportwege, sowie die Beschäftigung mit den Argumenten und politischen Maßnahmen der westlichen Seidenstraßen-Gegner gegen diese Weichenstellungen bieten einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Prozess des Wandels und der Widerstände.

China als Faktor des Wandels

Die Themensetzung für den Vortrag von Prof. Wolfram Elsner war in jeder Hinsicht eine Punktlandung. Großes Interesse führte an diesem Mittwochabend (15.11.2023) ein zahlreiches Publikum in den Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen. Geladen hatte der Verein Deutsch_Russische Friedens_Tage Bremen. Ergänzend zur erfolgreichen Ausstellung in der Stadtbibliothek: „Die Trans_Sibirische Eisen_Bahn. Eine russisch-europäisch-asiatische Lebensader. Geschichte und Perspektiven“ ging es in diesem Vortrag um die wachsende Bedeutung der internationalen Bahnlogistik in Verbindung mit China. Bekanntermaßen investiert dieses Land seit Jahren in die Entfaltung der Wirtschaftsbeziehungen und damit auch in die Handelsbeziehungen (und den damit verbundenen sozialen Fortschritt) Europas.

Anhand von detaillierten Darstellungen der Schienennetze konnte gut nachvollzogen werden: Was mit der Transsib im 19. Jahrhundert begann, ist heute ein wachsendes Schienennetzwerk, das weit über die Grenzen der Russischen Föderation hinaus Eurasien, China und Europa auf dem Landweg zusammenwachsen lässt – mit oder ohne Westeuropa? Das ist die große Frage!

Auch Bremen profitiert

Eine Bahnstrecke von etwa 11.000 km verknüpft inzwischen im Verbund mit der Transsib den chinesischen Wirtschaftsraum mit den Logistikzentren West-Europas. So kommen in Bremen täglich zwei Züge mit 100 Containern an! Duisburg, Hamburg, Mannheim u. v. a. Städte sind ebenfalls Zielorte. Umgekehrt nutzen zahlreiche deutsche Hersteller die Möglichkeit, ihre Produkte in Richtung China zu senden. Das Wachstum dieser Transporte ist beeindruckend. Der Referent verweist darauf, dass allein seit 2010 mehr als 60.000 Europa-Züge auf 78 Strecken Güter befördert haben. Allein für die Monate Januar bis Mai 2023 belegt der Vortrag, dass das Transportvolumen gegenüber 2022 um 31 % gestiegen ist.

Teil des Wandels zu einer multipolaren Welt

Und es wird weiter in den internationalen Ausbau dieses Systems für den Massentransport investiert. Stichworte: Belt-and-Road-Initiative, SCO+ (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) und die Dynamik der BRICS-Entwicklung stehen für diesen Prozess. Betont wird im Referat, dass diese von China und zahlreichen anderen Ländern forcierten Initiativen auch wesentlich für den unaufhaltbaren Wandel der internationalen Beziehungen hin zu einer multipolaren Welt (Welt auf Augenhöhe) sind.

Ausführlich geht Prof. Elsner auf die gängigen Vorwürfe gegen China ein. Themen, die diskutiert worden sind: „Land-Grabbing“, Ressourcenklau, Bevormundung und Übervorteilung der Teilnehmerländer. Allein anhand von US-amerikanischen Quellen zeigt der Referent auf, dass diese Punkte außerhalb der deutschen, USA- und EU-orientierten Kritikerszene grundlegend anders bewertet werden.

Geopolitische Einflüsse als Bremsklotz auf dem Weg zur Multipolarität

Der Prozess hin zu einer multipolaren Welt wird nach den Worten von Elsner kein leichter sein. Einfluss haben hier politische Spannungen, die im Umfeld der Magistralen geschürt werden. Hinzu kommen Kriege, wie in der Ukraine, im Nahen Osten und das Schüren von militärischen Spannungen um Taiwan.
Nachdrücklich verweist der Referent an dieser Stelle auf die seit mehr als 100 Jahren verfolgte Prämisse der USA, alles zu tun, um eine vorteilhafte Kooperation zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Diese Strategie, so erinnert Prof. Elsner, formulierte NATO-Generalsekretär Lord Ismay 1949 sinngemäß so: Es geht darum, die Russen rauszuhalten, die USA drin zu halten, und Deutschland unten zu halten …
Der kurzweilige Vortrag überzeugt durch zahlreiche Marker, über die es sich lohnt, weiter nachzudenken. Hilfreich sind da sicher auch die inzwischen drei Buchtitel zum Thema aus der Feder des China-Experten.

Text: Horst Otto
Video: Wolfgang Bertram, cut-in-Movie