Vertreter der „Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu“, des Bremer Friedensforum, des Vereins „Deutsch-Russische Friedenstage Bremen e.V.“ sowie der Initiative „Aufstehen“ trafen sich aus Anlass des 80. Jahrestages des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni am orthodoxen mit Heiligenbildern versehenen Gedenkkreuz zur Ehrung der im Stadtteil Bremen-Oslebshausen durch Hunger, Kälte, schwere Arbeit und Misshandlungen ermordeten Sowjetbürger. Es gab im Stadtteil Oslebshausen während des Zweiten Weltkrieg mehrere Lager sowjetischer Zwangsarbeiter und auch eine Kuhle, in der die umgekommenen Menschen verscharrt wurden. Ein Teil der Leichen wurde nach 1945 exhumiert und im Osterholzer Friedhof bestattet, ein anderer Teil – so jetzt recherchiert – blieb offensichtlich hier in der Erde liegen.

Die „Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu“ hält die Pläne, hier hinter der Wohnanlage „Wohlers Eichen“ eine Bahnwerkstatt einzurichten, für eine Missachtung der hier verscharrten Opfer. Sie stellten als Zeichen des Protestes an dieser Stelle zwölf kleine Holzkreuze auf. Von der Bürgerinitiative sprach Dieter Winge. Außerdem kamen zu Wort Bernd Fischer, Herbert Wehe, Vorsitzender des Vereins „Deutsch-Russische Friedenstage Bremen e.V., sowie Cornelia Barth, Landesvorsitzende der Partei „Die Linke“. Alle forderten, dass die Pläne der Deutschen Bahn an anderer Stelle umgesetzt werden und dieser Ort als würdige Gedenkstätte eingerichtet wird.

Es wurde ein Kranz niedergelegt und die Versammelten steckten rote Nelken an die kleinen aufgestellten Holzkreuze.

Unten dokumentieren wir die Rede unseres Mitglied Bernd Fischer.

Fotos: Hartmut Drewes und Sönke Hundt

Rede von Bernd Fischer zur Gedenkveranstaltung

Verehrte Anwesende,

„Es gibt“, schreibt der Historiker Christian Gerlach in seinem 2017 erschienenen Buch Der Mord an den europäischen Juden: Ursachen, Ereignisse, Dimensionen, „auf Englisch tausende von Büchern über die Vernichtung von 6 Millionen europäischen Juden. Ihre Zahl kennt niemand genau, dagegen kann man mit Sicherheit sagen, wie viele Fachbücher in englischer Sprache allein von der zweitgrößten Gruppe der NS-Opfer, den 3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, handeln: keins.“

Wer daraus den Schluss ziehen möchte, die jüdische Opfergruppe sei nach 1945 in irgendeiner Weise bevorzugt worden, erliegt der eigenen Dummheit und geht der Strategie imperialistischer Herrschaft auf den Leim, die immer und überall nach der Devise „divide et impera“, teile und herrsche handelt. Herrschen bedeutete nach 1945 für den deutschen Imperialismus, genauer: den westdeutschen Restimperialismus, die Wehrmacht als Bundeswehr wiederaufzubauen, die Rückgewinnung der Ostgebiete – auch mit militärischen Mitteln – zu planen und die eigenen Verbrechen zu leugnen. Als das Leugnen aber nicht mehr half und etwas getan, also Entschädigung geleistet werden musste, wurden die Opfergruppen gegeneinander ausgespielt, die einen prominent gewürdigt, um das Leid der anderen umso gründlicher verschweigen zu können, bis auch letzteren irgendwann, in der Regel aber viel zu spät, also kurz vor ihrem Tod, ein gewisser Status mit geringen Folgekosten eingeräumt werden musste.

So gaben CDU und CSU erst im Jahre 2015, also 70 Jahre nach Kriegsende, ihren Widerstand gegen Anträge der Linken- und der Grünen-Bundestagsfraktionen auf, Entschädigungszahlungen an ehemalige sowjetische Kriegsgefangene zu leisten. Doch das Verweigern, das Verschleppen und Verzögern hatte sich gelohnt. Denn am Ende kamen gerade einmal 4000 von etwa 2,4 Millionen, entsprechend 0,17 Prozent derer, die die Kriegsgefangenschaft überlebt hatten, in den zweifelhaften Genuss einer symbolischen Einmalzahlung von 2500 Euro.

Da ging um die Kosten, nicht um die Moral.

Und diese Kosten waren im Osten ganz besonders hoch, wo nach dem Willen der deutsche Kriegsplanung ausdrücklich vorgesehen war, die Bevölkerung um 30 bis 50 Millionen Menschen zu reduzieren und das sogenannte „Judenproblem“ endgültig zu lösen. Dabei zerstörten Wehrmacht, SS und deutsche Polizeieinheiten allein in der Sowjetunion 1710 Städte, 70.000 Dörfer, 32.000 Fabriken, 2766 Kirchen und Klöster, 4000 Bibliotheken und 427 Museen.

Was da vor 80 Jahren begann, wurde nie gesühnt und kaum bereut, woran sich auch bis heute kaum etwas geändert hat. Das Feindbild Russland wird nach Kräften wieder aufpoliert und blendet den politischen Verstand, weshalb sich weder Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble noch die Bundesregierung veranlasst sehen, mit einem Gedenkakt im Deutschen Parlament an diesen Tag vor 80 Jahren zu erinnern, an die Verantwortung Deutschlands für die Verwüstung der Sowjetunion, für millionenfaches Leid und für millionenfachen Mord. Einzig der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in Berlin-Karlshorst gezeigt, dass es auch anders geht. Seine Rede vom 18. Juni 2021 muss dabei auch als Aufruf an die Stadt Bremen verstanden werden, ihrem selbstgestellten Anspruch, „entschieden und entschlossen für Menschenwürde und Menschenrechte einzutreten“, gerecht zu werden.

Hier darf es nicht mehr um die Kosten gehen, hier geht es um politische Moral.

„Wie kann es sein“, fragt der Bremer Rechtswissenschaftler Prof. Christoph Schminck-Gustavus, „dass im Jahre 2021 die fortdauernde Störung der Totenruhe – ein Straftatbestand nach § 168 StGB – sogar durch eine staatliche Institution mittels Vermietung der Fläche befördert werden soll? Und wie ist es möglich, dass Rechtsnachfolgern von Profiteuren der NS-Herrschaft dieses Areal in der Straße An der Reitbrake heute für ein Bahnbetriebswerk mit Abstellanlage zur gewerbliche Nutzung angeboten wird?“

Der zitierten Frage, wie sein kann, was vor Gesetz und Menschenrecht nicht sein darf, hat sich die Hansestadt bis heute kaum gestellt. Die Bremer Hafenbehörde war da entschlossener. Hier wollte man nicht auf das Gras warten, das über die Sache, also die Gräber und Gebeine, wächst, hier wurden die Zeugnisse deutscher Grausamkeit schon im Jahre 1947 einfach mit Sand überspült, bis man sich – vermutlich auf diplomatischen Druck seitens Polen und der SU – an die lästige Arbeit machen, die sterblichen Überreste wieder ausgraben und in die Osterholzer Friedhofserde umbetten musste, wobei die Ausgräber gewiss gehalten waren, Zeit und Kosten zu sparen, weshalb man 280 Tote einfach in der Erde ließ.

Es ging ja um die Kosten, nicht um die Moral.

Was ein lebender Russe als Zwangsarbeiter den hiesigen Rüstungsbetrieben, in diesem Fall Siemens und Linke-Hofmann-Busch gekostet hat, wurde von SS und Wehrmacht genauestens berechnet und verbucht. Ein toter Russe brachte nichts mehr ein, er war durch Arbeit ausgepresst, war wertlos und musste verschwinden. Doch er verschwindet nicht. Er ist noch da, er liegt an diesem Platz und hindert die Stadt Bremen an der „In-Wert-Setzung“ eines Grundstücks, das entsprechend internationaler Abkommen den Status einer Kriegsgräberstätte und damit eines Bodendenkmals hat. Kriegsgräberstätten kennen wir. Für deutsche Soldaten gibt es sie in ganz Europa dort, wo sie fürs Vaterland gemordet haben und massenhaft gestorben sind. Auch in Russland gibt es sie, zum Beispiel auf der Krim oder in der Nähe von Smolensk.

Und wie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 3, Absatz 2 des Kriegsgräberabkommens berechtigt ist, „die deutschen Kriegsgräber und deutschen Kriegsgräberstätten in der Russischen Föderation auf ihre Kosten herzurichten und zu pflegen“, ist sie nach Absatz 3 verpflichtet, „die Erhaltung und Pflege russischer Kriegsgräber im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland“ zu gewährleisten, woran sich auch die Freie und Hansestadt Bremen zu halten hat, wenn es darum geht, sowjetischen Kriegsopfern ein Denkmal zu setzen und sie würdig zu bestatten.

Und zwar hier auf dem Gelände An der Reitbrake!

Vielen Dank!