Das Bremer Friedensforum, der Verein Deutsch-Russische Friedenstage Bremen und VVN-Bund der Antifaschisten hatten zu einem Gedenken am Tag der Befreiung eingeladen. Es fand am sogenannten „Russenfriedhof“ in Bremen-Oslebshausen statt, dort, wo während der NS-Zeit Hunderte von sowjetischen Zwangsarbeitern verscharrt wurden, die diese Zeit des Hungers und der schweren Arbeit nicht überstanden hatten. Es sprachen Herbert Wehe vom Verein Deutsch_Russische Friedens_Tage Bremen, Ulrich Struwe von VVN-Bund der Antifaschisten und Hartmut Drewes vom Bremer Friedensforum.

Fotos: Hartmut Drewes, Ekkehard Lentz, Horst Otto

Begrüßung von Herbert Wehe, Deutsch_Russische Friedens_Tage Bremen e.V.

Liebe Anwesende!

Es freut mich, Sie hier auf unsere Gedenkveranstaltung zum Tag der Befreiung auf dem sogenannten „Russenfriedhof“ begrüßen zu können.

Ich darf mich kurz vorstellen: Ich heiße Herbert Wehe und bin Vorsitzender des Vereins Deutsch-Russische Friedenstage Bremen“. Wir als Verein wollen auch weiterhin für Kontakte, Begegnungen und Austausch, gerade auch nach Russland arbeiten. Wir halten z.B. die Weisung der Universität Bremen, alle Kontakte und Kooperationen zu russischen Universitäten einzustellen – für einen falschen Weg. Wir haben uns versammelt, weil heute vor 77 Jahren am 8. Mai 1945 das faschistische Deutschland endlich kapitulierte. Dieser Tag ist Anlass, sich an die Befreiung Europas vom deutschen Faschismus und das Ende des II. Weltkrieges in Europa zu erinnern.

Nach sechs Jahren Krieg waren große Teile Europas verwüstet, 60 Millionen Menschen tot. Der erbarmungslosen Vernichtungs- und Rassenkrieg gegen die angebliche jüdisch-bolschewistische Weltrevolution kostete sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens, über fünf Millionen Polinnen und Polen und über 27 Millionen SowjetbürgerInnen das Leben. Wir danken den Ländern der Anti-Hitler-Koalition für die Befreiung von der faschistischen Diktatur. Die Hauptlast der Befreiung vom Faschismus trugen die Völker der Sowjetunion mit den Soldatinnen und Soldaten der multinationalen Roten Armee. Dafür sagen wir einfach: Danke – спасибо!

Wir haben uns hier an diesem Mahnmal versammelt, um auch der Zwangsarbeiter zu gedenken, die im 2. Weltkrieg hier begraben oder besser vergraben worden sind. Sie wurden nach Deutschland verschleppt, um hier für ihre Feinde unter erbärmlichsten Bedingungen zu schuften. Allein in den Grambker Lagern haben knapp 1000 von ihnen diese Torturen nicht überstanden. Sie starben an Hunger, Krankheit, Entkräftung, Misshandlungen und Mord. Die Toten aus den Grambker Lagern wurden hier unter die Erde gebracht Den meist jungen Menschen war das wertvollste genommen worden, was sie hatten: Ihr Leben, ihre Zukunft. Sie haben die Befreiung vom Faschismus, von Zwangsarbeit und Unterdrückung nicht mehr erlebt. Ihr Tod ist Mahnung und Auftrag zugleich: Die Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus wach halten und uns für Frieden und und Kriegsverhinderung einzusetzen.

Was heißt das aktuell in Zeiten des Ukraine-Kriegs? Jede der Kriegsparteien nutzt den den 8./9. Mai, den Tag der Befreiung für ihre Kriegserzählung, für ihr Narrativ. Damit wird in der Regel versucht, die eigene Position im Krieg zusätzlich zu begründen. Doch weiter rein in den Krieg ist der falsche Weg. Wo geht es raus aus dem Krieg? Das ist die Frage.

Tatsache ist, Russland hat gegen die Ukraine völkerrechtswidrigen Angriffskrieg entfesselt. Tatsache ist auch, dass der Krieg eine lange Vorgeschichte der Missachtung russischer insbesondere Sicherheitsinteressen hat, ohne deren Bearbeitung eine stabile Friedenslösung kaum möglich sein wird. Tatsache ist auch, dass der Krieg immer mehr angeheizt wird. Immer mehr Länder, auch Deutschland, drohen, Kriegspartei zu werden oder sie sind es schon. Damit droht die Ausweitung des Krieges.

Kein Weltenbrand, kein III. Weltkrieg, kein Atomkrieg. Das muss das oberste Ziel allen Handelns sein. Dieser Krieg wird nur durch eine diplomatische Lösung beendet werden. Dabei wird keine Seite Maximalforderungen durchsetzen können. Dass Russland den Krieg völkerrechtswidrig begann, ist keine Entschuldigung, den Frieden nicht zu wollen. Schon aus Gründen der Menschlichkeit, der Überlebenssicherung der Menschheit müssten wir alles dafür tun, diesen Krieg so zügig wie möglich zu beenden. Je eher das passiert, umso mehr Ukrainer und Russen werden ihr Leben behalten und haben eine Zukunft – eine Zukunft, die die hier beerdigten sowjetischen Zwangsarbeiter nicht hatten. Und da vermisse ich unsere Regierung in der Rolle einer Vermittlerin, einer treibenden Kraft für Verhandlungen. Das wäre ein Wahrnehmen unserer historischen Verantwortung.

Die mediale Wirklichkeit sieht anders aus. Nur wenige besonnene Stimmen werden laut – und ernten einen Shitstorm. So ergeht es auch dem von Alice Schwarzer initiierten Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz. Ermutigend ist, dass die dazu initiierte Petition in zehn Tagen schon 250.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fand. Ich möchte meine Einleitung mit einem Zitat daraus abschließen:

„Die vorherrschende Kriegslogik muss durch eine mutige Friedenslogik ersetzt und eine neue europäische und globale Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands und Chinas geschaffen werden. Unser Land darf hier nicht am Rand stehen, sondern muss eine aktive Rolle einnehmen.“

Danke.

Rede von Ulrich Stuwe, Vorsitzender der VVN-BdA, LV Bremen

Werte Anwesende,

Heute ist der 77. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus an der Macht. Damit nahm auch der Große Vaterländische Krieg gegen Deutschland ein Ende, der seit vor fast 81 Jahren begann. Die Menschen, deren Leichen die Deutschen hier verscharren ließen, haben sich gegen den faschistischen Überfall auf ihr Land gestemmt. Sie wurden nach ihrer Gefangennahme gezwungen für die deutsche Kriegsmaschinerie zu arbeiten. Durch Hunger, Auszehrung, Krankheiten oder Gewaltakte wurden sie um ihr meist noch junges Leben gebracht.

Von den etwa 55 Millionen Toten des europäischen Krieges waren ungefähr 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion. Rund die Hälfte der Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee in deutscher Kriegsgefangenschaft lebte bei der Befreiung nicht mehr.

Trotz ihrer in der Geschichte der Kriege beispiellosen Anzahl an Toten und Verwundeten gelang es der Roten Armee nicht nur die Sowjetunion, sondern auch u.a. die Staaten Osteuropas, des Balkans und große Teile des Deutschen Reichs vom Faschismus zu befreien.

Für Europa brachte dieses Ende des Zweiten Weltkriegs zwar nicht – wie die deutsche Politik und Historie immer wieder verkündet – eine lange Periode des Friedens. Bürgerkriege und militärische Aktionen in anderen Ländern fanden auch in Europa in der Folgezeit immer wieder statt. Immerhin konnte ein Dritter Weltkrieg bis zum Ende des Warschauer Paktes und der Sowjetunion aber verhindert werden.

Erst das durch die Nato-Staaten unterstützte Auseinanderbrechen Jugoslawiens in ihre Einzelstaaten führte zu längeren Kriegen. Bis sich die Nato-Staaten entschlossen haben zugunsten der kosovarischen Unabhängigkeit einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Rest-Jugoslawien zu führen. Ein Umstand, der in der westlichen Propaganda auch heute noch gerne verschwiegen wird.

Heute führt die Russische Föderation ebenfalls einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine, der zehntausenden auf beiden Seiten bisher das Leben gekostet hat und Millionen zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben hat.

Ich werde hier jetzt nicht auf die russische Rechtfertigung dieses Einmarsches in die Ukraine eingehen. Sie ist in Teilen richtig und in anderen falsch bzw. schlichtweg gelogen. Eine Berechtigung für diesen Krieg ist sie nicht. Dass auch von Seiten der Ukraine und der Nato, der EU und anderen die Ukraine unterstützenden Staaten die Öffentlichkeit belogen und betrogen wird, wird kaum jemand ernsthaft leugnen, rechtfertigt das russische Vorgehen aber ebenso wenig.

Dass angesichts des russischen Angriffskriegs einige Staaten ihre wirtschaftlichen und politischen Kontakte zur Russischen Föderation einschränken und in Teilen beenden, mag noch nachvollziehbar sein. Warum dies in kulturellen, sportlichen, persönlichen Bereichen auch passiert oder zumindest ein erheblicher Druck in dieser Hinsicht ausgeübt wird, bleibt mir allerdings unklar. Angeblich sind im Westen diese Bereiche – im Unterschied zu Russland – ja völlig unabhängig von politischer Einflussnahme. Das dies nicht so ist, haben die Diskussionen und Handlungen der letzten Wochen auch in der Bundesrepublik zur Genüge gezeigt. Dazu gehören auch Übergriffe auf wirklich oder vermeintlich russischsprachige Menschen und Schändungen von sowjetischen Kriegsdenk- und -ehrenmälern.

Auch hier an diesem Ort müssen wir verhindern, dass die russische Aggression in der Ukraine dazu genutzt wird, die wirtschaftliche Nutzung dieses Gräberfeldes zu rechtfertigen. Nicht nur, dass hier die sterblichen Überreste von Menschen von allen ca. 100 Völkern der Sowjetunion – also auch Ukrainer – liegen. Vor allem weil die Menschen der Sowjetunion nicht nur für ihre eigene, sondern letztendlich auch für unsere Befreiung vom Faschismus gekämpft haben. Dafür schulden wir ihnen – auch denen die meist elendig in Gefangenschaft umgekommen sind – unseren Dank.

Die Aufrechterhaltung des persönlichen Austausches zwischen Menschen in Deutschland und Russland in dieser Zeit ist eminent wichtig und richtig. Ein solcher Dialog darf nicht bedeuten zur Konfliktvermeidung den Standpunkt des anderen zu übernehmen oder dem anderen den eigenen Standpunkt aufzwingen zu wollen. Doch auch dieser Krieg wird – hoffentlich recht bald – zu Ende gehen. Auch danach sind so genannte zivilgesellschaftliche Kontakte zwischen den Menschen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik bitter nötig. Damit diese Auseinandersetzung zwischen unseren verhärteten Regierungen nicht doch noch zu einer weitaus größeren kriegerischen wird.

Rede von Hartmut Drewes, Bremer Friedensforum

In meiner fast dreißigjährigen Zeit als Pastor hier in Oslebshausen habe ich von älteren Einwohnern viele Erinnerungen gehört, die sie an die in diesem Stadtteil in Lagern untergebrachten und zur Arbeit gezwungenen Menschen hatten. Bei einer ganzen Reihe von Bewohnern habe ich zusammen mit Jugendlichen Interviews zur NS-Zeit durchgeführt, in denen auch Zwangsarbeiter vorkamen.

Kontakte zu den Zwangsarbeitern waren auf den Arbeitsprozess beschränkt. Andere Kontakte waren verboten. Trotzdem war man ja auf der Arbeitsstelle täglich beieinander.

Das Verhältnis zu den Zwangsarbeitern war sehr unterschiedlich. Ein Zwangsarbeiter z.B., so wurde mir erzählt, wurde von einem Nazi geteert und gefedert. Sie wurden auch geschlagen. Sie wurden auch ermordet. Einer, der sich diesbezüglich besonders hervorgetan hatte, hat sich am Ende des Krieges aus Bremen verdrückt.

In den Luftschutzbunker durften die Zwangsarbeiter bei Bombenalarm nicht hinein. Es gab aber welche, die sie trotzdem mit hineingenommen haben oder mit hineinnehmen wollten, aber deswegen von der Aufsicht gemaßregelt bzw. davon abgehalten wurden. Einer dieser maßregelnden Leute war der, der zu meiner Zeit Küster in der evangelischen Gemeinde war.

Es gab aber auch andere, die solidarisch waren, ihnen etwas zu essen zusteckten. (Zum Teil haben sich Zwangsarbeiter nach der Befreiung bei denen bedankt, entweder mit einem Geschenk (selbst Gebasteltes) oder dass sie vor dem Rücktransport in die Heimat sich verabschiedeten und sich für die Solidarität bedankten.)

Es gab einen Bauer in Oslebshausen, der mit den ihm zugeteilten Zwangsarbeitern gemeinsam die Mahlzeiten einnahm, was offiziell verboten war. Der Ortsbauernführer wollte ihm das untersagen, doch er hat sich das nicht verbieten lassen.

Der Arbeiter Johannes Franz, der auf der Hütte tätig war, hat einige junge Zwangsarbeiter – sie waren ja teilweise erst 16 Jahre alt – bei sich zuhause untergebracht. Das und vieles mehr weiß ich vom Sohn Karl-Heinz, ein linker Sozialdemokrat, der mir von der Zeit sehr viel berichtet hat. Sein Vater muss auf der Hütte im Arbeitsprozess eine gewisse Autorität gehabt haben, und er war ohne Frage auch sehr couragiert. Der Sohn hat mir auch erzählt, dass er selbst einmal einen Zwangsarbeiter davon abhalten wollte, als dieser sich aus der Drankkuhle, in der Viehfutter eingesäuert war, etwas Essbares herausholen wollte. Als sein Vater das sah, hat er seinem Sohn eine Tracht Prügel verabreicht und ihm deutlich gemacht, dass man einem hungernden Menschen nicht daran hindern darf.

Der Sohn hat damals als Junge beobachtet, wie ständig, wohl täglich, Leichen der Zwangsarbeiter hier in eine Grube geworfen wurden.
Etwas Geld erhielten die Zwangsarbeiter. Sie konnten aber nicht in jedem Laden dafür etwas erwerben, da sich einige Lebensmittelhändler weigerten, ihnen etwas zu verkaufen; aber andere taten es.

In Oslebshausen gab es etwa 10 Lager, größere und kleinere. Eins von den größeren war das Lager Piepengraben. Märsche zur und von der Arbeit, führten z.B. vom Lager Piepengraben in Oslebshausen, vorbei an der Oslebshauser Kirche, durch den Stadtteil hindurch zum Hafen. Das sah die Oslebshauser Bevölkerung, auch dass diese Männer vom Hunger gezeichnet waren, manche unterwegs auch zusammenbrachen und von den Mitgefangenen gestützt und getragen werden mussten.

Wenn Zwangsarbeiter nicht spurten oder vielleicht etwas stahlen, wurden sie auch mit dem Tode bestraft. Und die Mitgefangenen mussten der Hinrichtung beiwohnen. So hat es ein ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter bei seinem Besuch in Bremen 1989 berichtet.

Es gibt mit dem, was damals während des Zweiten Weltkriegs geschah und dem Einmarsch Russlands in die Ukraine einen Zusammenhang. Der ist nicht hergesucht. Da bricht Deutschland, das damals wohl die bestgerüstete Macht der Welt war und mit der Sowjetunion einen Nichtangriffsvertrag geschlossen hatte, in die Sowjetunion ein und hinterlässt 27 Millionen Tote, dazu Verletzte Verkrüppelte, zerstörte Städte und Dörfer. Das hat ein kollektives Trauma in den Ländern der Sowjetunion geschaffen, das tief im Gedächtnis verankert ist.

Und jetzt versuchen die USA und mit ihnen die NATO mit ihren inzwischen 30 Mitgliedsstaaten, ihre hochgerüstete Front gegen Russland noch weiter an Russland zu schieben, indem sie die NATO, auch in der Ukraine, das eine lange Grenze zu Russland hat, etablieren wollen.

Wenn ich das sage, will ich nicht den Einmarsch Russlands in die Ukraine rechtfertigen – in keiner Weise. Im Gegenteil: dieser Krieg ist nicht nur ein Fehler, sondern ein internationales Verbrechen. Aber die Vorgeschichte zeigt, dass die NATO und der Westen mit ihrer jahrzehntelangen Militärpolitik gegen Russland wesentlich den Krieg mit verursacht haben, was selbst Papst Franziskus deutlich gemacht hat, indem er vom „Bellen der NATO an Russlands Tür“ sprach. Und was die deutsche Rolle dabei betrifft, muss man erwähnen, dass man nach 1945 das alte Feindbild Russland weiter gepflegt hat und die Verbrechen gegen die Sowjetunion im Gegensatz zum Holocaust nie aufgearbeitet hat. Man stelle sich nur vor, Deutschland würde den Landraub Israels entsprechend thematisieren, überall die Palästinafahne hissen und den Palästinensern schwere Waffen liefern.

Das Einzige, was diesen Krieg beenden kann, sind keine Waffenlieferungen an die Ukraine, und es ist eine Schande und ich würde sagen, ein Verbrechen, dass gerade Deutschland sich massiv an den Waffenlieferungen beteiligt. Das Einzige, was den Krieg beenden kann, ist Diplomatie auf höchster Ebene. Leider gibt es bisher nur zaghafte Versuche. Und das wiederum macht deutlich, dass international fast nur noch militärpolitisch gedacht wird und Bemühungen um Gespräche und Kontakte in Richtung Entspannung und Verständigung keine Lobby haben.

Wir hier haben nur eine kleine Kraft, können hier nur ein kleines Gedenken veranstalten. Lasst uns mit unseren weiteren Aktivitäten in Richtung Frieden, Abrüstung, Völkerverständigung und Antifaschismus so gut wir können uns für eine bessere Zukunft engagieren.