Im Rahmen der Ausstellung zur Blockade Leningrads (1941-1944) in Bremen sprach der Historiker und Politikwissenschaftler Dr. Gert Meyer aus Marburg.
U. a. führte Meyer aus: Um große Opfer der deutschen Angreifer zu vermeiden, entwickelte ein General der deutschen Wehrmacht den Plan, Leningrad nicht zu erobern, sondern auszuhungern und damit zu vernichten. Diese Strategie wurde von Hitler in einem Befehl autorisiert. Deutschland und Finnland, die militärisch verbündet waren, führten in ziemlich schnellem Tempo die militärische Einkesselung der Stadt durch. Sowjetische Gefangene wurden dabei in der ersten Zeit gleich umgebracht.
Leningrad war nicht nur eine große Kulturstadt mit etwa drei Millionen Einwohnern, sondern verfügte auch über Elektro-, Stahl- und Rüstungsindustrie. Die fertig produzierten Panzer fuhren direkt an die Front. Aber ständiger Artilleriebeschuss und Bombardierung der Stadt zerstörten Teile der Industrie und der Nahrungsreserven. Im nördlichen Bereich der Sowjetunion gab es keine Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, und die Zulieferung wurde immer schwieriger. Das führte dazu, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung verschwand, einmal durch Evakuierungen im Winter über den vereisten Ladogasee, wobei etwa die Hälfte der Transporte durch Beschuss und durch Einbrüche nicht durchkam. Zweitens starben sehr viele durch Hunger, besonders junge Menschen und Männer. Leningrad wurde während der Blockade immer mehr zu einer Stadt der Frauen. Trotz des Hungers und des Sterbens – täglich etwa 4000 Personen – entwickelte sich eine starke und vitale Widerstandskraft in der blockierten Stadt. Die Mütter kämpften um das Überleben ihrer Kinder, damit auch um ihr eigenes, Schostakowitsch komponierte seine 7. Sinfonie, die in Leningrad im August1942 in einer neugebauten Konzerthalle aufgeführt und im Rundfunk übertragen wurde.
Nur noch knapp 60.000 Überlebende Leningrader leben noch in aller Welt. Sie wandten sich im September 2023 mit einem Aufruf an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Darin heißt es: „Wir verurteilen entschieden die zwiespältige Position der Bundesregierung, die über lange Zeit humanitäre Leistungen an jüdische Blockade-Überlebende auszahlt, sich jedoch unter erfundenen Vorwänden kategorisch weigert, diese Leistungen auf alle heute noch lebenden Blockade-Opfer ohne Ansehen ihrer ethnischen Zugehörigkeit auszuweiten.“ Und sie verlangen, „die humanitären Auszahlungen auf ausnahmslos alle Blockade-Überlebenden auszuweiten, die es immer weniger gibt.“
Text & Fotos: Hartmut Drewes