„Russenfriedhof“ an der Reitbrake soll würdiger Denkort werden

Seit Jahren verweist ein Mahnmal auf den ehemaligen „Russenfriedhof“ an der Reitbrake. Am 8. Mai, dem 78. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg, versammelten sich an diesem Ort zahlreiche Menschen, um an die Opfer der NS-Jahre zu erinnern und zugleich einen aktuellen Friedensappell zu formulieren. Zu Beginn der Veranstaltung wurde ein großes Gesteck niedergelegt.

Gemeinsam hatten die Bürgerinitiative (BI) zur Stärkung der Wohn- und Lebensqualität in Oslebshausen, das Bremer Friedensforum (BF) und der Verein Deutsch-Russische Friedenstage Bremen (DRF) eingeladen. Dieter Winge von der BI Oslebshausen ergriff zu den aktuellen Auseinandersetzungen um das Gräberfeld für sowjetische Naziopfer an der Reitbrake das Wort. In seinem Redebeitrag, weiter unten in Anhang 1 dokumentiert, forderte der Sprecher die Schaffung eines würdigen Denkortes an der Reitbrake. Diese Forderung fand auch die ungeteilte Zustimmung der Veranstaltungsteilnehmer. Faktenreich ging der Redner auf die unrühmliche Rolle der Bremer Politik ein. Diese ziele darauf ab, einen würdigen Denkort an der Reitbrake zu verhindern. Im Sinne einer nachhaltigen Erinnerungsarbeit verwies Winge auf die Bedeutung des Denkortes am Platz des damaligen Geschehens.

Bernd Fischer (DRF) machte die Versammelten mit dem Thema Zwangsarbeit in Deutschland unter der Überschrift „Panik, Rettung und ein lohnendes Geschäft“ vertraut. Die Rede ist weiter unten in Anhang 2 dokumentiert. Barbara Heller trug eine Kurzgeschichte einer in einem Zwangsarbeiterlager in Deutschland geborenen Frau vor, die unter ihrer Herkunft in der Nachkriegszeit leiden musste.

Klare Worte zur aktuellen Politik

Viel Beifall erhielt Moderatorin Anne Biermann-Asseln (BF) für ihre Worte zur aktuellen Politik: „Wenn man den Inhalt ihrer Reden ernst nimmt, ist es völlig unverständlich, wie die heutigen Politiker agieren. Das betrifft die Bremer Landesregierung, die alles tun müsste, um die Reitbrake als einen Denkort zu würdigen.

Das betrifft die deutsche Bundesregierung, die für die Ukraine von Anfang an Waffenlieferungen hätte ablehnen müssen. Unsere historische Verantwortung nach zwei begonnenen Weltkriegen hätte in einem absoluten Einstehen für eine friedliche Lösung im Ukrainekonflikt stehen müssen. Jegliche Initiativen, die es gegeben hat und immer noch gibt, um zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen zu kommen, müssen unterstützt werden.

In diesem Krieg sind bisher auf jeder Seite wahrscheinlich mehr als 100 000 Tote zu beklagen. Die „einfachen Leute“ zahlen den Preis für geostrategische und wirtschaftliche Interessen. Dem entsetzlichen Blutvergießen muss ein Ende gesetzt werden. Der Ukrainekrieg muss möglichst bald mit einer diplomatischen Lösung beendet werden.

Wir brauchen Kooperation und gemeinsame Sicherheit. Statt immer höherer Militärausgaben brauchen wir Geld für die Bekämpfung der sich anbahnenden Klimakatastrophe und der sozialen Ungleichheit. In diesem Sinne zu handeln, das wäre Friedenspolitik.“

Ein musikalischer Beitrag rundete die Kundgebung ab, mit Tatiana Chilkewitsch, Ludmila Schmidt, Gitarrist und Sänger Vladimiros Papadopoulos und Irene Baumann.

Anhang 1

Rede von Dieter Winge – Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu

Im September 1941 fordert der Bremer Bausenator Dr. Fischer in Ermangelung deutscher Arbeitskräfte, die an der Ostfront in Russland verschlissen werden, 600 sowjetische Zwangsarbeiter an. Diese werden im Bunker und Straßenbau eingesetzt. Von diesen 600 Zwangsarbeitern versterben bis zum Frühjahr 1942 insgesamt 371 an einem völlig desolaten Ernährungs- und Gesundheitszustand sowie an den Folgen einer Fleckfieberepidemie. Weil diese Verstorbenen gemäß der perfiden Rassenideologie der Nationalsozialisten nicht auf deutschen Friedhöfen bestattet werden durften, wird die Anlage eines eigenen Friedhofs, dem sog. „Russenfriedhof“ erforderlich. Dieser wird im Dezember 1941 mit einem formalen Bauantrag beantragt. Bestandteil des Bauantrags ist eine Karte, die ein 100 mal 200 Meter großes Grundstück als zukünftigen Friedhof ausweist. Im Rahmen der nun abgeschlossenen archäologischen Grabungen wurde jedoch nur eine Teilfläche dieses Gebietes, die etwa 50 mal 70 Meter umfasst, untersucht. Gefunden wurden hier 20.000 Knochenfragmente sowie 66 vollständige Skelette. Über den Verbleib von 300 Verstorbenen, die nachweislich auf diesem Friedhof bestattet wurden, herrscht nach wie vor Unklarheit! Unter Umständen befinden sich die sterblichen Überreste dieser Menschen noch hier unter der Erde! An den Plänen zur Errichtung der Bahnwerkstatt wird trotzdem hartnäckig festgehalten, die formale Planfeststellung wird vermutlich Anhang Juni 2023 beginnen. Die Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu ist momentan damit beschäftigt, die Voraussetzungen für eine Klage gegen diese Bebauung zu schaffen.

Die Funde sind Überreste einer Exhumierung und Umbettung auf den Osterholzer Friedhof, die 1948 erfolgt ist. Das Narrativ, das von Beginn an vom Bremer Senat geschaffen wurde, lautet: Der Friedhof sei 1948 formal aufgelöst worden; nur sei die Exhumierung und Umbettung nicht vollständig erfolgt. Im Grundsatz aber handele es sich um eine rechtlich und formal korrekte Auflösung einer Kriegsgräberstätte.

Dem war aber mitnichten so!
Im November letzten Jahres war ich im Bremer Staatsarchiv, um mich noch einmal mit den Quellen vertraut zu machen. In den historischen Unterlagen gibt es keine Senatsbefassung und auch keinen Senatsbeschluss, der sich mit der Auflösung des Friedhofs an der Reitbrake beschäftigt. Bis 1947 war geplant, einen Ehrenfriedhof „An der Fuchtelkuhle“ in der Nähe des Pulverbergs, auf einem damals bestehenden polnischen Massengrab zu errichten. Diese Planungen waren auch im Rahmen eines Senatsbeschlusses mit einer konkreten Summe von 31.370 RM hinterlegt. Dorthin sollten die sterblichen Überreste umgebettet werden. In den Akten gibt es keinerlei Dokumente mehr, die sich mit der Anlage eines Ehrenfriedhofs in Osterholz befassen.

In den Akten taucht dann erst wieder ein Dokument vom 03.11.1954 auf. In diesem Vermerk wird beschrieben, wie eine dreiköpfige Delegation der russischen Botschaft aus Berlin in Bremen ist und Friedhöfe inspiziert, auf denen russische Kriegsopfer bestattet waren. Geplant war, diese Verstorbenen auf den Osterholzer Friedhof umzubetten und die Sowjetunion sollte dem zustimmen. In diesem Zusammenhang kam es auch zu einem Besuch des Osterholzer Friedhofs. In dem betreffenden Aktenvermerk steht, die Botschaftsangehörigen seien von der Anlage des Ehrenfriedhofs auf dem Osterholzer Friedhof beeindruckt gewesen. Hieraus wird nun im Narrativ des Bremer Senats 9 Jahre nach der bereits erfolgten Umbettung plötzlich eine völkerrechtlich erforderliche Zustimmung der damaligen Sowjetunion zu den erfolgten Umbettungen auf den Osterholzer Friedhof. Wir finden diese Interpretation abenteuerlich!

Um es hier noch einmal klar zu benennen:

  • Die Umbettungen von 1948 waren eher ein Massaker, bei dem 20.000 Knochenfragmente sowie 66 vollständige Skelette in der Erde verblieben sind, die man schlicht vergessen hat! Vollständige Skelette wurden auseinandergerissen, ein Teil wurde nach Osterholz verbracht, ein Rest verblieb hier in Oslebshausen. Für die Angehörigen muss dies eine unerträgliche Vorstellung sein.
  • Zudem waren diese „Umbettungen“ aufgrund der damals fehlenden Zustimmung des Herkunftslandes der Verstorbenen wohl eindeutig völkerrechtswidrig!
  • Aber anstatt diese Sachverhalte so zu benennen, wie sie sind, sprechen Senat, Landesarchäologie und Staatsarchiv euphemistisch von einem formal korrekt aufgelösten Friedhof und einer lediglich „unvollständigen Exhumierung“.

Leider gehen auch die regionalen Medien dem nicht auf dem Grund und kommen ihrer Verantwortung, hier auch ein unabhängiges Korrektiv zur Politik zu bilden, nicht nach und übernehmen diese Erzählung unkritisch.

  • Eine Entschuldigung an die Nachfahren der Opfer, die mehr als angemessen wäre und eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, gibt es bis zum heutigen Tag ebenfalls nicht.
  • Der Bremer Senat wird seiner historischen Verantwortung für diese Geschehnisse bei weitem nicht gerecht! Uns ist bis heute keine geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Zwangsarbeit in der Grambker Schleife bekannt! Alle bisherigen Beiträge zur Aufarbeitung wurden ausschließlich von Akteur:innen der Zivilgesellschaft geleistet. Zu nennen sind hier Peter Michael Meiners, Harry Winkel, das Bremer Friedensforum sowie die Bürgerinitiative Oslebshausen. Während der Bremer Senat die Aufarbeitung der Firmengeschichte von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Kühne und Nagel fordert, verweigert er dies für den eigenen Verantwortungsbereich. Zur Erinnerung: es war der Bremer Bausenator, der 1941 die ersten Zwangsarbeiter anforderte, von denen dann weit mehr als die Hälfte innerhalb weniger Monate verstarb!
  • Auch der Forderung nach einer angemessenen Gedenkstätte am Ort des Geschehens verweigert sich der Senat bisher! Stattdessen will man einen zentralen Gedenkort, weit ab vom Geschehen auf dem Osterholzer Friedhof sowie am Bunker Valentin in Farge errichten. Wir denken, dass Gedenken so zur reinen symbolischen Geste wird. Eine Gedenkstätte gehört an den Ort des Geschehens, um begreifen zu können, was hier wirklich passiert ist.

Beim Runden Tisch Oslebshausen konfrontierten wir die Landesarchäologin Frau Dr. Halle mit dem Widerspruch, dass sie beim Außenlager des KZ-Neuengamme, dem Gröpelinger Schützenhof, öffentlich sagte, eine Bebauung verbiete sich angesichts der historischen Belastung an diesem Ort. Beim Friedhof auf der Reitbrake jedoch befürwortete sie im Rahmen eines Buten un Binnen Beitrags öffentlich die Bebauung mit einer Bahnwerkstatt. Mit diesem Widerspruch konfrontiert, sagte Frau Halle, beim Schützenhof handele es sich um einen Tatort, beim „Russenfriedhof“ jedoch um einen „friedlichen Ort“. Wir empfinden diese Äußerungen als skandalös. Die zahlreichen Funde sind noch nicht hinreichend untersucht worden, um Exekutionen und Gewalttaten, die im Übrigen in Zwangsarbeiterlagern an der Tagesordnung waren, sicher ausschließen zu können. Vor diesem Hintergrund von einem Ort des Friedens zu sprechen, erscheint mir schon fast eine Verharmlosung dessen zu sein, was hier zwischen 1941 und 1945 geschehen ist! Letztlich passt aber auch diese Äußerung Frau Halles bestens in die offizielle Erzählung des Bremer Senates.

Ebenfalls im Rahmen einer Sitzung des Runden Tisches Oslebshausen, auf der Vertreter Alstoms anwesend waren, konfrontierte ich Herrn Werther, Manager von Alstom, mit der Frage, ob Alstom die Geschichte des Zwangsarbeiterfriedhofs bekannt sei. In diesem Zusammenhang erwähnte ich auch, dass Alstom in der Vergangenheit die Linke-Hofmann Werke übernommen hat, und dass die Linke Hofmann Werke nachweislich Zwangsarbeiter im Dritten Reich beschäftigt hat. Ich sprach in diesem Zusammenhang von historischer Verantwortung Alstoms und fragte, ob sich Alstom in diesem Zusammenhang vorstellen könne, sich an einem Gedenkkonzept auf der Reitbrake zu beteiligen, wenn es zum Bau der Bahnwerkstatt komme. Herr Werther reagierte empört auf diese Frage; er wies jegliche, auch nur historische Verantwortung Alstoms zurück und verweigerte dann das weitere Gespräch hierüber. Dies ist für uns nicht akzeptabel! Auch für Alstom gibt es u. E. eine historische Verantwortung, sich der eigenen Firmengeschichte zu stellen; genauso wie Wintershall-DEA im Zusammenhang mit der Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof in Hamburg oder Kühne und Nagel hier in Bremen. Wir werden Alstom hier nicht ausder Verantwortung lassen und dieser Aspekt wird auch weiterhin bedeutender Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit bleiben! Dies gilt auch für den Bremer Senat.

Wir fordern weiterhin Aufklärung über den Verbleib von 300 Verstorbenen, die nicht auf den Osterholzer Friedhof umgebettet worden sind. Wo sind diese sterblichen Überreste geblieben? Solange diese Frage nicht geklärt ist und nicht sichergestellt ist, dass diese sich nicht noch auf dem Gelände außerhalb des Kernfriedhofs befinden, verbietet sich die Bebauung des Friedhofs mit einer Bahnwerkstatt.

Außerdem fordern wir, dass der Senat seiner historischen Verantwortung gerecht wird und eine professionelle geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Zwangsarbeiterproblematik im Bremer Westen in Auftrag gibt. Eine gewissenhafte Entschuldigung bei den Hinterbliebenen für das Chaos, das bei der Exhumierung 1948 angerichtet wurde und das für die Opfer in höchstem Maße würdelos war, ist mehr als überfällig. Nicht zuletzt fordern wir die Einrichtung einer angemessenen Gedenkstätte vor Ort, die der Problematik und dem Ausmaß des Zwangsarbeitereinsatzes im Bremer Westen auch gerecht wird. Eine 20 Kilometer vom Geschehen entfernte Gedenkstätte kann diese Funktion nicht in dem Maße erfüllen, wie eine Gedenkstätte vor Ort.

Auch die Firma Alstom ist aufgerufen, ihre historische Verantwortung zu erkennen und wahrzunehmen, in dem sie die Firmengeschichte im Dritten Reich der Linke Hofmann Werke gewissenhaft aufarbeitet und über ihre Beteiligung an einem angemessenen Gedenkkonzept nachdenkt.

Abschließend möchte ich mich noch einmal bei Ekkehard Lentz und dem gesamten Bremer Friedensforum bedanken. Ohne die Unterstützung des Friedensforums hätten wir die umfassende Recherchearbeit, die erfolgten Veröffentlichungen, die zahlreichen Pressetermine und Veranstaltungen und nicht zuletzt die auch vielen Anfeindungen aus der Politik, denen das Friedensforum ja auch immer besonders ausgesetzt war, nicht bewältigen können. Der regelmäßige Austausch mit Ekkehard Lentz, die Unterstützung durch Marlies und Sönke Hundt, Hartmut Drewes, Barbara Heller, Gerhard Schäfer und allen anderen hat uns sehr geholfen und dies hat uns auch gut getan. Vielen Dank, dass ihr uns hier immer so bedingungslos unterstützt habt. Damit bin ich auch am Ende meines Vortrags angekommen.

Vielen Dank für Eure/Ihre Aufmerksamkeit!

Anhang 2

Panik, Rettung und ein lohnendes Geschäft

Rede von Bernd Fischer zum 08. Mai – Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, gehalten am 08. Mai 2023 am Mahnmal für die sowjetischen Kriegsgefangenen.

Verehrte Anwesende,

beim Thema Zwangsarbeit in Deutschland wird von offizieller Seite viel über die Opfer, wenig über die Täter und noch weniger über Geld geredet. Das war vor 25 Jahren anders.

Nachdem das Verbrechen der millionenfachen Zwangsarbeit nach 1945 aus dem kollektiven deutschen Bewusstsein verdrängt werden musste, um die Remilitarisierung Westdeutschlands mithilfe ehemaliger Wehrmachtsgenerale und den Eintritt in die Nato bei gleichzeitiger Rekonstruktion antikommunistischer Feindbilder erfolgreich zu absolvieren, wurden die deutschen Wirtschafts- und Meinungsführer kurz vor der Jahrtausendwende nervös, als US-amerikanische Anwaltskanzleien zuerst von jüdischen, später von osteuropäischen und russischen Opferverbänden damit beauftragt wurden, die systematisch vernachlässigten Ansprüche der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter und KZ-Insassen auf Zahlungen in noch auszuhandelnder Höhe gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und deutschen Konzernen durchzusetzen, und zwar auf dem Klageweg.

Panik

Panik brach aus bei denen, die sich im Zuge von Krieg und Eroberung an den Zwangsarbeitern und KZ-Insassen bereichert hatten, jetzt aber Angst um ihre Marktanteile in den USA, insbesondere um die geplante Fusion der Deutschen Bank mit Bankers Trust, bekamen. Geredet, nein geflüstert und geraunt wurde, wie das Manager-Magazin im Juli 1999 berichtete, in den Fluren der seriösen Dresdner Bank von einer um „55 Jahre verspäteten Umsetzung des Morgenthau-Plans, Deutschland in ein Agrarland zurückzuverwandeln“. Furcht ging um vor der „Mafia“ der großen US-amerikanischen Kanzleien, die der deutschen Wirtschaft mit unsauberer moralischer „Erpressung“ den sauberen Hals brechen wollten, nachdem sich die Bundeswehr bei der Bombardierung Jugoslawiens gerade erst als treuer Bündnispartner der USA bewährt hatte.

Der Spiegel, Sturmgeschütz der Demokratie, trat am 09. August 1999 mit der Behauptung auf, im Zuge der juristischen Verhandlungen könnten „Rechtsanwälte“ – gemeint war vermutlich die als jüdisch erkannte Sammelklägerkanzlei Cohen Milstein Hausfeld & Toll – „ nach US-Recht 20 Prozent oder mehr der Streitsumme kassieren. (…) Noch wird über die Summe gestritten, die den Anwälten zufließen soll, 50 Millionen bis 600 Millionen sind in der Debatte. Und noch ist nicht geklärt, ob die Anwälte zusätzliche Honorare“ – sogenannte „Holocaust-Honorare“ – „von ihren Mandanten kassieren dürfen.“

Die Süddeutsche Zeitung – auch so ein Sturmgeschütz – berichtete am 16. Dezember 1999, dass „unter einigen US-Anwälten regelrecht Goldgräberstimmung geherrscht habe.“

Und die Zeit vom 10. November 1999 mischte sich besonders einfallsreich in die Debatte ein: „Die Kläger missbrauchen den Holocaust zu einem Gerichtsspiel ums große Geld“, schrieb sie und meinte, die überwiegend jüdischen Kläger und Kanzleien vor den Folgen ihrer Raffgier warnen zu müssen: „Die Klage ist ein unschätzbares Geschenk für die Antisemiten in Polen.“

Rettung

Rettung kam wie so oft in Gestalt der SPD, die im September 1998 die Bundestagswahlen gewonnen hatte und entschlossen war, eine Rot-Grüne Koalition zu bilden. Noch vor seiner Wahl zum Bundeskanzler trat Gerhard Schröder vor die Presse und versprach, die Interessen der deutschen Wirtschaft in dieser Angelegenheit nicht zu vernachlässigen.
Und so wurde mit dem verurteilten Steuerhinterzieher Otto Graf Lambsdorff (FDP) ein Mann als „Beauftragter der Bundesregierung für die Zwangsarbeiterentschädigung“ in die Arena geschickt, der schon mit der Behauptung aufgefallen war, viele Zwangsarbeiter hätten – ich zitiere aus dem Gedächtnis – „die schönsten Jahre ihres Lebens in Deutschland verbracht“.

Die schönsten Jahre ihres Lebens haben die meisten nicht überlebt. Von 26 Millionen Menschen, die zwischen 1939 und 1945 im Deutschen Reich und in den von Nazideutschland besetzten und kontrollierten Gebieten Zwangsarbeit leisten mussten, waren bei der Wende zum zweiten Jahrtausend noch 1.6 Millionen am Leben. 24,4 Millionen waren gestorben, die meisten schon während der Zwangsarbeit oder kurz danach.

KZ- und Ghetto-Häftlinge erhielten als „Entschädigung“ für geleistete Zwangsarbeit den Maximalbetrag von 7.669 Euro, Inhaftierte in Arbeitserziehungslagern und sogenannten „anderen Haftstätten“ zwischen 3.068 und 7.669 Euro, während Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Industrie mit 2.556 Euro abgespeist wurden.

Keine Zahlungen erhielten Kriegsgefangene, sofern sie nicht in Konzentrationslagern inhaftiert waren. Das galt auch für die knapp 2 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die unter härtesten Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten und überlebt hatten, nachdem die weit größere Zahl ihrer kriegsgefangenen Kameraden schon 1941/42 in den Wehrmachtslagern, unter anderem im Lager Wietzendorf, verhungert war. Erst im Jahr 2015 beschloss der Deutsche Bundestag eine Zahlung, die aber nur noch wenige Überlebende erreichte.

Ein lohnendes Geschäft

Was erreicht wurde, war – und nur darauf kam es an – die Unterzeichnung eines Regierungsabkommens zwischen Deutschland und den USA zum Schutz deutscher Unternehmen vor weiteren Sammelklagen. Die USA, Deutschland und sechs weitere Staaten unterzeichneten eine gemeinsame Abschlusserklärung zur Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, über die bis 2007 an 1,6 Millionen Überlebende die Summe von 4,4 Milliarden Euro, im Durchschnitt also 2750 Euro pro Person, ausgezahlt wurde.

So war das Ergebnis der Verhandlungen die juristische Krönung eines Gewaltgeschäfts, das im kriegsbedingten Arbeitskräftemangel des Deutschen Reiches seinen Anfang nahm und von Heinrich Himmler in seiner Posener Geheimrede vor SS-Mitgliedern wie folgt umschrieben wurde:

Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total gleichgültig. (…) Ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen. Ob beim Bau eines Panzergrabens zehntausend russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.